Stolperstein für ehemalige Bücherhallen–Mitarbeiterin Hedda Guradze am letzten Arbeitsort eingeweiht
Heute wurde der Stolperstein im Gedenken an Hedda Guradze (*1904 - †1945) vor dem Eingang zum Kulturcafé eingeweiht. Hedda Guradze war jüdischer Herkunft und arbeitete als Mitarbeiterin der Bücherhallen Hamburg von 1930 bis zu ihrer Entlassung zum 28. Februar 1937 hier in der ehemaligen "Bücherhalle C, Mönckebergstraße" als Bibliothekarin. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Beratung der Kund*innen. Nach 1933 wurde sie aus dem Ausleihdienst zurückgezogen und mit der Anpassung des Buchbestands an die NS-Ideologie beauftragt, 1935 zur Jüdin erklärt und schließlich entlassen. Im Exil in den USA nahm sie sich 1945 das Leben. Auf dem Stolperstein steht: "Flucht in den Tod".
Jana Schiedek, Staatsrätin für Kultur und Medien: "Das Leben Hedda Guradzes ist ein Schicksal von vielen, zugleich aber exemplarisch für dramatische Lebenswege in dieser Zeit. Protestantisch erzogen galt sie nach den Nürnberger Gesetzen als Jüdin und wurde durch die Nationalsozialisten verfolgt und schließlich zur Flucht gedrängt und in den Tod getrieben. Es erfüllt mich mit großer Trauer, dass das Leben dieser engagierten Mitarbeiterin der Bücherhallen durch Diskriminierung und Ausschluss aus Beruf und Gesellschaft zerstört wurde und sie schließlich allen Lebensmut verlor. Der Stolperstein vor ihrer ehemaligen Arbeitsstätte hält das Gedenken an Hedda Guradze und ihr Schicksal wach und ist uns tägliche Mahnung. Mein Dank gilt allen, die sich um die Aufarbeitung dieser Geschichte bemühen und uns mit Stolpersteinen und anderen Aktionen dabei helfen, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach zu halten."
Hedda Guradze kam am 12. Juli 1904 in Kiel zur Welt. Beide Elternteile waren zum evangelischen Glauben übergetreten. Ab 1923 studierte sie Kunstgeschichte, Deutsche Literatur und Archäologie in Kiel, München und Freiburg. Eine Promotion verwarf sie aus finanziellen Gründen und entschied sich für eine Ausbildung zur Diplombibliothekarin, die sie als Jahrgangsbeste abschloss. Im März 1930 begann sie ihre Tätigkeit bei den "Öffentlichen Bücherhallen". In der Bücherhalle Mönckebergstraße gehörten die Ausleihe und Beratung der Leser, die Führung des Schlagwortkatalogs und Buchbesprechungen zu ihren Aufgaben.
Die Bücherhallen begannen bereits vor den Bücherverbrennungen im Mai 1933, ihre Bestände selbst zu "säubern". Bereits am 18. März 1933 präsentierte der damalige Bücherhallendirektor Dr. Wilhelm Schuster auf einer Leitersitzung seine Grundsätze zur Bücherauswahl und forderte unter Vorlage einer ersten Liste auszusondernder Titel "eine Entlastung des Bücherbestandes von solchen Werken, die dem neuen Willen der Nation abträglich sein könnten". Zwischen 1933 und 1935, also noch vor dem Erscheinen der ersten offiziellen "Schwarzen Listen", zogen die Bücherhallen geschätzte 24 Prozent ihres Bestandes aus der Ausleihe zurück. 367 dieser Bücher wurden 1937 an die Bibliothek der Freien und Hansestadt Hamburg, die heutigen Staats- und Universitätsbibliothek, übergeben.
Nachdem Hedda Guradze auf Grund ihrer jüdischen Herkunft nicht mehr im Ausleihdienst tätig sein durfte, wurde ausgerechnet sie mit dem Aussortieren unliebsamer Bücher und der Umarbeitung des Schlagwortkatalogs nach nationalsozialistischen Kriterien betraut.
Der Erlass der "Nürnberger Gesetze" von 1935 markierte einen dramatischen Wendepunkt in ihrem Leben. Sie verlor nicht nur ihr Recht auf Anstellung im öffentlichen Dienst, ihr wurde auch verwehrt, zu heiraten. Das gestellte Ehegenehmigungsgesuch wurde nach 1 1/4 Jahren Wartezeit abgelehnt. Die Kündigung durch die Bücherhallen erfolgte erst zum 28. Februar 1937. Der damalige Direktor Dr. Albert Krebs setzte sich dafür ein, dass erst das Ergebnis des Anerkennungsverfahrens abgewartet wurde, das die Familie angestrengt hatte und – bei Erfolg – Hedda Guradze unter den Schutz des Status einer "Halbjüdin" gestellt hätte. Dies war erfolglos.
Hedda Guradze lebte nach ihrer Entlassung noch zwei Jahre in Hamburg. Allerdings führten die anhaltende Diskriminierung und Ausgrenzung, die Trennung von ihrem Verlobten, die Kündigung und der Verlust eines erfüllenden Berufs schließlich zum Zusammenbruch und schweren Depressionen. Im April 1939 gelang die Auswanderung in die USA. Auch wenn Hedda Guradze in den Vereinigten Staaten stets Arbeitsgelegenheiten angeboten bekam, wurde sie durch ihre Krankheit immer wieder gezwungen, diese aufzugeben. Die Sorge um ihre Angehörigen und deren Schicksal zermürbte sie und führte zu einem langen Klinikaufenthalt.
Die Ablehnung ihres Antrags auf Anerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft im Januar 1945 und die zunehmend verheerenden Nachrichten aus dem verwüsteten Europa verstärkten die Depressionsschübe. Hedda Guradze setzte ihrem Leben selbst ein Ende. Sie verstarb am 30. Juni 1945 mit nur 40 Jahren in Cambridge, Massachusetts.
"Bücherhalle C", Mönckebergstraße: Vor Umsetzung des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937 betrieben die Öffentlichen Bücherhallen acht Standorte in Hamburg. Erst mit der Eingliederung der Städte Altona, Bergedorf, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek sowie der Walddörfer und Elbvororte wuchs die Zahl der Zweigstellen um ein Vielfaches an.
Die Bücherhalle an der Mönckebergstraße wurde 1915 in dem kleinen tempelähnlichen, von Kurt Schumacher entworfenen Gebäude auf der Straßeninsel zwischen der Spitalerstraße und Mönckebergstraße untergebracht. Die überaus günstige Lage im Stadtzentrum führte zu einem starken Besucherandrang, so dass diese Bücherhalle bald die höchsten Ausleihzahlen Hamburgs verbuchen konnte.
Die Stolpersteine gehen auf ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig aus dem Jahr 1992 zurück. Kleine Gedenktafeln, sogenannte Stolpersteine, sollen an das Schicksal Ermordeter, Deportierter, Vertriebener und in den Suizid getriebener in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Es handelt sich um quadratische Messingtafeln, die mit eingeschlagenen Lettern beschriftet und von einem angegossenen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 96 × 96 und einer Höhe von 100 Millimetern getragen werden. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster beziehungsweise den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen. In Hamburg wird das Erinnerungs-Projekt Stolpersteine in Hamburg von Peter Hess koordiniert, der auch für Frau Guradze die beiden Stolpersteine verlegt hat: Ein weiterer Gedenkstein wurde vor ihrer letzten Hamburger Wohnadresse in der Feldbrunnenstraße 21 eingelassen.
Ausstellung: vom 16. bis 31. Mai 2023 zeigen die Bücherhallen in der Zentralbibliothek in einer Ausstellung zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung sechs Bücher aus ihrem damaligen Bestand, die vernichtet werden sollten, aber gerettet wurden. Weitere 278 verbotene Bücher wurden 1937 dem Germanistischen Seminar der Universität Hamburg übergeben.
Fotos©Falk von Traubenberg
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