89 mm. Belarus 2005 - Freiheit in der damals letzten Diktatur Europas
eVideo
- Titel: 89 mm. Belarus 2005 - Freiheit in der damals letzten Diktatur Europas / Montage: Lena Rem; Drehbuch: Sebastian Heinzel; Regie: Sebastian Heinzel; Kamera: Eugen Schlegel; Stimme: Roman Knizka
- Person(en): Rem, Lena ; Heinzel, Sebastian [Drehbuchautor*in] ; Heinzel, Sebastian [Regisseur*in] ; Schlegel, Eugen ; Knizka, Roman
- Produktion: Belarus/Deutschland 2004
- Sprache: Sprachfassung: Russisch. Untertitel: Deutsch
- Umfang: 1 Online-Ressource (77 min) : Bild: 16:9 HD
- Erschienen: Potsdam : filmwerte GmbH, 2024
- Schlagwörter: Politik ; Gesellschaft ; Dokus ; Film
- Link(s): eMedium IMDb Seite TMDb Seite Cover Image
- Zielgruppe: Ab 14 Jahren
Inhalt: "89 Millimeter" zeigt ein Belarus, das es in der Gegenwart von 2020/21 nicht mehr gibt. Anfang der 2000er Jahre reiste der junge Filmhochschul-Absolvent Sebastian Heinzel in das Land, das seit der Osterweiterung von 2004 an der östlichen EU-Außengrenze liegt. Kurz nach der Jahrtausendwende dokumentierte Heinzel das Lebensgefühl junger Erwachsener unter Lukaschenka. Der Titel seines Films, "89 Millimeter", verweist auf den Unterschied der Eisenbahn-Gleisspurweiten zwischen Westeuropa und Belarus. Es klingt nach keinem großen Abstand. Dennoch markiert die Spurweite die Grenze zu einer anderen Welt. Als der Film gedreht wurde, war Alexander Lukaschenka knapp 10 Jahre an der Macht. Der 1994 zunächst legitim gewählte Präsident hatte sein Land zu dieser Zeit längst in die letzte Diktatur Europas verwandelt. Zwei Jahre nach seiner Wahl hatte Lukaschenka das Parlament entmachtet. 1999/2000 verschwanden vier Oppositionspolitiker spurlos; sie gelten als tot. Der Westen von Belarus grenzt an Polen, Litauen und Lettland. Als Heinzel nach Belarus reiste, interessierten sich nur wenige Westeuropäer für Belarus. Bis heute ist den meisten Mitteleuropäern nicht geläufig, dass die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg in Belarus besonders grausam wütete; etwa ein Viertel der Bevölkerung überlebte den Krieg nicht. Im belarussischen Nationalstaat, der am 1.1. 1992 aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen war, schien die sowjetische Mentalität gut konserviert. Infolge des Reaktorunfalls im ukrainischen Tschernobyl, nahe der belarussischen Grenze, hatte sich zivilgesellschaftliche Kräfte zur Selbsthilfe zusammengefunden. Sie waren zu schwach, um eine Mehrheit gegen Lukaschenkas diktatorische Transformation zu mobilisieren. Gleichzeitig gelang es dem Präsidenten, wirtschaftlich stabile Verhältnisse zu schaffen. Er versorgte die Bevölkerung mit grundlegenden Gütern. Das sicherte seine Macht; der Diktator und sein Volk richteten sich miteinander ein. 89 Millimeter dokumentiert schier aussichtslosen Protest schwacher Oppositioneller in dieser Zeit. Ohne freie Medien und bürgerliche Freiheiten wie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erreichten diese kleinen und kleinsten oppositionellen Kreise keine kritische Masse. Wer sich an den diktatorischen Verhältnissen allzu sehr rieb, dem blieb die Möglichkeit zum Exil. Im Unterschied zur Sowjet-Zeit steht es den Bürgern frei zu gehen. Die 22jährige Tänzerin und Theatermacherin Olga sagt im Film: "Wenn nichts Dramatisches passiert, zum Beispiel, dass ich mich verliebe, werde ich das Land verlassen." Alexander, Mitglied der Oppositionsgruppe Bison, hisst unterdessen trotzig die von Lukaschenka verbotene weiß-rot-weiße Flagge. Ab dem August 2020 wurden eben diese rot-weiß-roten Farben zu DEM Symbol der Anti-Lukaschenka-Massenproteste. Wer im Belarus des Jahres 2021 rot-weiß-rot trägt oder zeigt, muss damit rechnen, dass staatliche Kräfte auch mit brutaler körperlicher Gewalt bis zum Mord reagieren. Alexander wagte Anfang des Jahrtausends Widerstand, als die Mehrheit seiner Landsleute vor allem in Ruhe gelassen werden wollte. Trotz der scheinbaren Aussichtlosigkeit protestierte er immer wieder. Seine Begründung: Er wolle die Voraussetzungen schaffen, dass sein Land in der Welt respektiert wird. Der 24jährige Soldat Igor dagegen ist regimetreu, Er "will sich in Politik nicht einmischen, sondern nur von ihr profitieren." Igor versteht nicht, warum Belarus eine Diktatur sein soll. "Ich denke, was ich sage und ich sage, was ich denke," gibt er zu Protokoll. Beginnend im Jahr 2020, 16 Jahre nach Veröffentlichung von "89 Millimenter", ist die scheinbar unerschütterliche Stabilität des Lukaschenka-Regimes unwiederbringlich Geschichte. Viele Beobachter führen den Wandel auf Lukaschenkas Leugung der Corona-Pandemie zurück. Er tat die Krankheit als harmlos ab. Doch durch die Berichte von Exil-Belarussen und das Internet verbreiteten sich in Belarus Nachrichten aus dem Ausland. Viele Belarussen lebten während der Corona-Pandemie im Gefühl, Lukaschenka setze sie der Gefahr schutzlos aus. In der Folge versagten die erprobten Mechanismen antidemokratischen Machterhalts. Hunderttausende Belarussen gingen infolge einer dreist gefälschten Wahl ab August 2020 monatelang auf die Straße. Von Anfang an antwortete das Regime Lukaschenka mit Brutalität. 2021 verdankt der taumelnde Präsident seine Macht vor allem der Unterstützung durch Russland. "89 Millimeter" ist das unschätzbare Dokument einer Epoche, deren Untergang sich in der Gegenwart von 2020/21 nur noch durch massenhaft angewandte rohe Gewalt und ein Autokraten-Bündnis der Angst hinausschieben lässt.
Aktionen
Verfügbarkeit
Dieser Titel ist digital verfügbar
Soziale Netzwerke